Ganz am Ende hat es also doch noch geklappt. Nach mehr als
neun Stunden im riesigen Allrad-Toyota, nach abwechslungsreicher Landschaft,
holprigen Wegen und luftigen Höhenzügen sehen wir sie endlich: zwei junge
Elefantenbullen, die ihr Nachmittagsbad am Ufer des Ihema-Sees nehmen. Ein
beglückender Moment am Ende der Tour durch den Akagera Nationalpark im Osten
Ruandas. Er gilt als eines der landschaftlich schönsten unter Afrikas
Savannen-Reservaten und ist ideal für erstmalige Besucher des Kontinents.
Eigentlich hatten wir die Hoffnung schon längst aufgegeben.
Denn in den frühen Morgenstunden, als wir schon einmal am See entlang gefahren
waren, in Richtung Norden, hatte unser Tour-Guide Bosco gesagt, dass es zwar
möglich, aber derzeit nicht sehr wahrscheinlich sei, Elefanten zu sehen.
Die Tiere halten sich vorzugsweise im südlichen Teil, einer üppig
mit Büschen und hohen Sträuchern bewachsenen Region des größten ruandischen
Nationalparks, auf. Zwar tragen einige von ihnen einen GPS-Sender, so dass die
Ranger meist wissen, wo in etwa sie sich befinden. Aber seit Tagen schon seien
sie weit abseits der Autorouten unterwegs gewesen und daher nicht erreichbar,
sagt Bosco. Die Chancen standen also nicht wirklich gut.
Zum Glück für die Besucher sind die Dickhäuter nicht die
einzigen beeindruckenden Tiere, die sich im Akagera Nationalpark beobachten lassen.
Für manche muss man in den nördlichen, savannenartigen Teil fahren, für andere
in die Feuchtgebiete in den Osten an der Grenze zu Tansania, die vom
namensgebenden Fluss Akagera gespeist werden, einem der fünf Nil-Zuflüsse.
Viele Tiere sieht man aber auch schon kurz nach dem Start links und rechts der
Strecke im Süden.
Knapp zehn Stunden dauert eine große Rundtour von der
Akagera Game Lodge am südlichen Ende zur Kilala-Ebene ganz im Norden durch den etwa
60 Kilometer langen Park, der nirgends breiter als 30 Kilometer ist. Beim Start
an der Lodge machen vorwitzige Paviane manchmal den Gästen zu schaffen. Eine
Mitarbeiterin des Hotels begleitet daher die mit Lunchpaketen ausgestatteten
Besucher zum Wagen, um sie vor den verfressenen, aggressiven Affen zu schützen.
Auf der Fahrt vorbei an der Parkverwaltung sitzen weitere Paviane gruppenweise
bequem zurückgelehnt wie Zuschauer am Wegesrand. Sie kommen neugierig näher, sobald
das Auto hält.
Es gibt zwei Hauptrouten durch den Park: der Weg entlang der
Westgrenze, der sich über eine niedrige Bergkette bis hinter die Kilala-Ebene
im Norden schlängelt, und die Lake-Shore-Road, die an den zahlreichen Seen
mittig von Nord nach Süd durch den Park führt. An einigen wenigen Stellen gibt
es Querverbindungen, die mitunter aber nur ein geschultes Auge entdeckt; die
gemauerten Wegweiser erscheinen nicht unbedingt als verlässliche Kennzeichen.
Die Fahrzeuge dürfen die vorgegebenen Routen nicht verlassen, um die Tiere
nicht zu beeinträchtigen. An manchen Stellen sind Arbeiter dabei, in der
Regenzeit ausgespülte Abschnitte auszubessern.
Die belgischen Kolonialherren schufen den Akagera 1934 mit
einem reinen Naturreservat und einem angrenzenden Bereich, in dem etwas
menschliche Aktivität erlaubt ist. Die Fläche gehört zur African Park
Association, einem Zusammenschluss von acht Nationalparks in sieben Ländern.
Die ruandische Hauptstadt Kigali liegt 120 Kilometer oder knapp drei
Autostunden entfernt, das letzte Stück asphaltierte Straße ist rund 30
Kilometer vom Parkeingang weg.
Noch im dicht bewachsenen Buschland ein paar Kilometer hinter
der Lodge sind die ersten Büffel mit ihren gewaltigen, U-förmig geschwungenen
Hörnern zu sehen, die in kleineren Wasserlöchern liegen. „Büffel kommen gern zu
solchen matschigen Stellen“, erklärt Bosco. „Dort kühlen sie sich ab, außerdem
hält der Matsch Fliegen fern.“
Ganz in der Nähe stehen ein paar Defassa-Wasserböcke, eine afrikanischen
Antilopen-Art, die vor allem südlich der Sahara heimisch ist. „Sie verströmen
einen ziemlichen Gestank, wenn sie attackiert werden“, ergänzt der Guide. Eine
Eigenschaft, die wohl niemand kennenlernen möchte.
Der 25-Jährige ist einer von 24 freiberuflichen
Fremdenführern aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Er hatte sich in einem
harten Auswahlverfahren gegen 200 Mitbewerber für einen der wenigen
Ausbildungsplätze durchgesetzt. Seine Aufgabe ist es, Besuchern wie
Einheimischen zu erklären, warum der Schutz von Flora und Fauna wichtig ist.
Wilderer seien immer ein großes Problem gewesen, das inzwischen eingedämmt sei,
erläutert er: Die Jagd nach Elfenbein und in Kriegszeiten auch nach Fleisch der
Impala-Antilopen habe den Tierbestand zeitweise stark dezimiert.
Um aber die einst im Park heimischen Löwen auszurotten,
waren gar keine Wilderer nötig: Während des Bürgerkriegs und des Völkermordes
in den 1990-er Jahren wurden die Großkatzen getötet, so dass sie nun mühsam
wieder angesiedelt werden müssen. Die Parkverwaltung hat vor, demnächst sechs
Weibchen und drei Männchen aus Südafrika herbeizuschaffen.
Je weiter es nach Norden geht, desto lichter wird die
Vegetation und die Gegend weniger hügelig. Sie wandelt sich zu einer
savannenartigen Graslandschaft mit trapezförmigen Akazien-Bäumen. Dort zeigt
sich eine weitere Antilopen-Art: Topis mit rotbraunem Körper, braunschwarzen
Hinterbacken und kurzen geriffelten Hörnern. Das weiße Fell an ihren Beinen
sieht aus, als würden die Tiere Kniestrümpfe tragen. „Topis rennen sehr
schnell, wenn sie auf der Flucht sind“, sagt Bosco. Bis zu 70 Stundenkilometer
können sie angeblich erreichen.
Unsere Route führt dicht an der Westgrenze des Parks entlang.
Hier und da ist der solarbetriebene Elektrozaun zu sehen, der die im Schutzgebiet
lebenden Tiere daran hindert, in besiedeltes Gebiet und auf Weideland zu
wandern. Alle 15 Kilometer steht eine kleine Stromproduktionseinheit.
Nach zwei Stunden Fahrt ist auf 1825 Metern der höchste
Punkt, Mutumba Hills, erreicht. Dort gibt es ein paar Feuerstellen, ein
Toiletten- und ein Wetterschutzhäuschen. In der Nähe ist außerdem für Notfälle eine
Park-Ranger-Station. „Hier oben campen gern europäische Besucher“, erzählt
Bosco. „Es ist kühl, es geht immer ein Wind, es gibt keine Moskitos, und man
ist morgens schnell bei den Tieren in der Kilala-Ebene“. Ein Geier mit riesiger
Flügelspannweite kreist über unseren Köpfen.
Auf dem Weg hinab sind nicht nur Impala-Antilopen, sondern
auch Oribis zu sehen – kleine, scheue, rehbraune Gazellen, die laut Bosco nur
hier den Hügeln zu finden sind. Und dann sind sie endlich da: die unzähligen
Zebras mit ihren Streifen, die so individuell wie ein menschlicher
Fingerabdruck sind. Sie stehen im Gebüsch, unter Bäumen oder mitten im Weg, in
Gruppen, allein, paarweise, grazil und durch kaum etwas aus der Ruhe zu
bringen. Gemächlich trotten sie zur Seite, wenn unserer Fahrer Vincent den Wagen
langsam auf sie zurollen lässt.
Vorbei an Kandelaber-Kakteen und buschigen Bäumen geht es weiter
in die große, offene Steppe, ins Grasland. In der Ferne ist zwischen Zebras und
Antilopen eine Giraffen-Herde zu sehen. Die langhalsigen und -beinigen Tiere
waren nicht immer heimisch im Akagera-Park. „1986 kamen sechs Masai-Giraffen
als Geschenk aus Süd-Kenia her“, erläutert Bosco. „Es war ein Experiment, um zu
sehen, ob sie auch hier zurechtkommen.“ Das scheint geglückt: Heute leben schon
70 Tiere im Akagera.
Ein Stück weiter schreitet gemessenen Schrittes eine
Mutter-Giraffe mit zwei Jungtieren vorüber. „Giraffen haben ein bis zu 12
Kilogramm schweres Herz, um Blut in den Kopf in fünf Meter Höhe zu pumpen“,
sagt Bosco. Vermutlich, weil sie sonst Kreislaufprobleme bekämen, schlafen
Giraffen immer im Sitzen, mit Kopf oben. Es lässt einen staunen, wie
majestätisch sich die Tiere in der Natur bewegen und ist sogleich beim Gedanken
an das enge Freigelände im Zoo verstimmt. Aber das gilt beim Anblick der
meisten Tiere im Nationalpark.
Am Rande der Kilala-Ebene liegt ein Picknick-Platz – eine
mit Steinbrocken eingegrenzte Fläche, an der wir ausnahmsweise aussteigen
dürfen. Wegen der Tiere ist das Verlassen der Fahrzeuge sonst nicht gestattet.
Prinzipiell spricht aber nichts dagegen, mit dem eigenen Wagen oder einem
Mietfahrzeug in den Park zu fahren – vorausgesetzt, es hat einen Allrad-Antrieb,
denn ohne den sind viele der holprigen Routen kaum befahrbar.
Ganz in der Nähe entdeckt Bosco eine Hyäne. „Es ist
ungewöhnlich, sie am Tag zu sehen“, sagt er. „Hyänen jagen nachts und sehen am
Tag nicht sonderlich gut.“ Doch diese hat es sich mit Blick auf den
Picknickplatz auf allen vier Pfoten gemütlich gemacht und blickt ungestört
herüber.
Eine riesige schwarze Büffelherde grast in den Weiten in der
Ebene, ungestört von zahlreichen Warzenschweinen, die mit aufgestelltem Schwanz
hochbeinig hin- und herlaufen. Mit dem Auto fahren wir recht dicht an die Herde
heran und können erkennen, dass auf dem Rücken der mächtigen Tiere größere und
kleine weiße Vögel sitzen und im Fell picken. Die größeren Vögel sind Reiher
und neben den berühmten Berggorillas im Nordwesten des Landes so etwas wie ein
ruandisches Nationaltier: Überall in Wassernähe lebend und als Zeichnung auf
den staatlich abgefüllten Milch- und Wasserflaschen zu sehen.
Die Reiher sind auch an den Ufern des nahegelegen Rwanyakazinga-Sees
zu finden. Einer thront auf dem Rücken eines Nilpferdes, das knöcheltief im
Wasser steht. Normalerweise halten sich Hippos weitgehend mit dem ganzen Körper
im Wasser auf, nur dieses scheint an einem Bein verletzt und daher nicht in
Tauchlaune. Bis zu sechs Minuten kommen Nilpferde unter Wasser ohne Atemluft
aus und strecken oft nur kurz nur ihre dunklen Augen und rosa schimmernden Ohren
und Nasenlöcher heraus, bevor sie wieder abtauchen.
Dann geht es wieder Richtung Süden des Parks. Noch mehr
Antilopen, Gazellen und Warzenschweine sind zu sehen, dazu Mungos, Schwalben, Perlhühner,
Vögel mit grün-bläulich glänzendem Gefieder und rötlichen Flügeln, gelbe und
weiße Schmetterlinge, einige Grünmeerkatzen. Und wer nach der Tour noch Zeit und
Muße hat, kann bei einem Bootstrip auf dem Ihema-See, dem zweitgrößten Ruandas,
bei Sonnenuntergang auch das Glück haben, Krokodile, Afrikanische Fischadler,
Kormorane und weitere große Raubvögel zu sehen.
Doch zu unserem Glück fehlt bis zum Schluss noch etwas: ein
Elefant. Kurz vor der Rückkehr zur Akagera Game Lodge macht Fahrer Vincent noch
einen kleinen Abstecher runter zum See. Und da sind sie dann: zwei
Elefantenbullen in freier Wildbahn. Nun wissen wir, wir sind wirklich in Afrika
gewesen.
(c) Nina C. Zimmermann 2015 für dpa/tmn
unter anderem hier erschienen:
http://www.aachener-nachrichten.de/ratgeber/reisen/afrika-fuer-einsteiger-der-akagera-nationalpark-in-ruanda-1.1190832
https://www.iol.co.za/travel/africa/more-to-rwanda-than-just-gorillas-1936875
aktualisiert am 12.02.2018